Karen Zimmermann

Was bin ich?

» Gott es ist so « [lachen] » ich hab das Gefühl ich müsste jetzt hier irgendwie ne -– Aufführung starten mit den ganzen Kameras … sooo. [ … ]« Einige Sekunden konzentrierte Stille, die erahnen lassen, dass etwas gleich beginnt – die fröhlich-aufgeregte Stimmlage wechselt in eine Art tieferen Vorlesertonus:

»Ich werde wahnsinnig. Was bin ich -–- ?«

Diese Frage markiert, wie wir später merken, nicht bloß den einschneidenden Beginn von Karen Zimmermanns Vortrag, sondern bildet den Grundstein ihrer Arbeit, begonnen mit ihrer Bachelorarbeit. Darin macht sie sich selbst zur Protagonistin einer Selbstbefragung, die scheinbar um die eigene Identität kreist. … Was bin ich — ? — Wieso eigentlich »Was«? Fragt »Was« nicht eigentlich nach einer Sache, einem Attribut, einer Nummer, einer unpersönlichen Zuschreibung?

»Ich wollte mal Schauspielerin sein, studiere jetzt Kommunikationsdesign, überlege, dass das ja nicht so frei ist und möchte vielleicht lieber Kunst studieren.«

»Wer bin ich?« lässt sich also aus »Was bin ich?« ableiten, so zumindest scheint es zunächst, wenn wir Karens Aussagen näher betrachten. Höchst persönlich und auf gleichzeitig sehr nüchterne Art problematisiert sie in ihrer Bachelorarbeit gesellschaftlich verankerte Rollenzuschreibungen – Vorstellungen von dem, was man zu sein hat, manifestiert und kategorisiert in Bachelordegrees und Noten, im besten Falle in Stein gemeißelt durch klar getaktete, linear vorgegebene Lebensverläufe. Doch bei Karen scheint sich das «Wer bin ich?» dem «Was?» nicht so ganz unterordnen zu wollen – von der Schauspielerin zur Kommunikationsdesignerin bis hin zur Künstlerin ist sie bereit, so viele unterschiedliche Rollen anzunehmen, bis sie die für sie passende gefunden hat. Macht sie das nicht letztendlich doch zur Schauspielerin? Als Bewerberin an einer Schauspielschule (Max Reinhard Seminar in Wien) ist sie in der letzten Runde ausgeschieden, genauso bei der ersten Instanz ihrer Bewerbung für das grundständige Studium an der Kölner Hochschule für Medien (KHM), nur um letztendlich im postgraduierten Studiengang aufgenommen zu werden –-— »Nicht angenommen werden war wichtig«, sagt sie, denn dadurch hätte sie lernen können, dass es nicht darum geht, das zu machen, was alle sehen wollen; Person und Prozess dürften nicht abgekapselt voneinander stehen, sondern müssten als Ganzes erkennbar sein, erklärt sie uns. Darum erscheint Karens Werdegang trotz der Kurswechsel als ein Akt der Selbstfindung und -befreiung, in dem jeder Schritt den nächsten logisch vorherbestimmt und kein Schritt ohne den vorherigen denkbar gewesen wäre.

»Aber erstmal möchte ich meinen Bachelor machen. Der Bachelor. Was ist denn der Bachelor? Bachelor of Arts. ------ hm --- ist n Hochschulabschluss, hab ich irgendwas gelernt? ---- Eigentlich nur, mir noch mehr Fragen zu stellen, noch unsicherer zu sein als vorher. Also wie soll ich an den Bachelor rangehen wenn ich gar nicht weiß, was ich machen will oder wo ich hin will, ---- hmm ---------------------- Bachelor. -------------- «

In der Arbeit werden Monologe wie diese voller Fragen und Unsicherheiten abgelöst von Videodialogen mit Kommilitoninnen und Kommilitonen, die Karens psychologische Befindlichkeiten spiegeln und dabei auf sie als Protagonistin zurückprojizieren. Beim Lesen (oder Zuhören) wird mehr und mehr deutlich, dass sich bei den meisten Studierenden die Suche nach dem Selbst während des Bachelors manifestiert und in der Bachelorarbeit ihren Ausgang findet – oder eben finden muss. Und dieses müssen macht wahnsinnig, so jedenfalls das ein- und ausleitende Statement des ersten Teils. Gesellschaftliche und systemische Verhältnisse und Zwänge treten in ihren Effekten auf die Psyche der Dialogpartnerinnen und -partner so klar zutage, dass sie in der Arbeit gar nicht konkret versprachlicht werden müssen.

Der Bachelor

»Dann war es so weit -- ich war an der KHM angekommen [ … ] es war so, ich hab gedacht Juhu! jetzt kann ich endlich machen was ich möchte [ … ] und das war dann auch so, dass ich ganz neu war und dann auf einmal diese Unsicherheiten wieder da waren ›ah ich hab Design studiert und was mach ich hier und was soll ich denn jetzt erzählen‹ und dann diese Barriere mit der englischen Sprache — ich hatte das Gefühl ich kann nicht sprechen -- daraus ist quasi meine erste Performance entstanden, die ich live gemacht habe.«

Zu sehen ist Karen in einem Arrangement aus Mikrofon auf Stativ, roter Turnmatte und Treppchen mit kleiner Orchestertrommel und Schlägeln. Sie tritt in der scheinbaren Absicht, etwas sagen zu wollen, an das Mikrofon heran und – schweigt — dreht sich um, steigt das Treppchen hinauf, zur Trommel hin, ergreift die Schlägel und — trommelt. Das Trommeln ist so unerträglich laut wie das Schweigen zuvor. Diese Abfolge wiederholt Karen vier mal. Sie habe dieses persönliche Problem, nicht sprechen zu können, zum Thema gemacht, sagt sie; wenn man eigentlich schon auf der Bühne ist, vor Menschen, und nicht sprechen kann. Macht sie hier das Mikrofon zum Symbol fürs sich-frei-ausdrücken-müssen? Steht es – wie damals die Stellwände – für den Zwang, die eigenen Ideen auf ein bestimmtes Medium projizieren, durch einen winzigen Kanal hindurchpressen zu müssen?

Das Mikrofon spielt auch in anderen Arbeiten eine zentrale Rolle, so etwa in einer ihrer Bewerbungsarbeiten für die KHM, die sie in Zusammenarbeit mit Ivan Geddert und Aldo Ricci gemacht hat. Das Setting des eigentlichen Bühnenstücks besteht aus einem völlig surreal wirkenden, blauen Swimmingpool mit Sprungbrett in einem Studioraum. In sich abwechselnden Videosequenzen sind die Dargestellten in unterschiedlichen Situationen zu sehen: Eine Metalband mit Schlagzeug und Gitarre, der Sänger schreit, auf dem Sprungbrett stehend, unverständlich in sein Mikrofon; Karen beim Telefonieren mit einer unbekannten Person, »ne ich versteh dich wirklich nicht. — geh mal weg da bitte — es bringt nichts, wenn du — geh doch mal bitte raus da, ich versteh wirklich nichts.«; Karen und ein anderer Protagonist sitzen im Swimmingpool und unterhalten sich über etwas Unbestimmbares ( … ).

Sowohl das sorgsam inszenierte Bühnenbild als auch die fragmentartigen Monologe und Dialoge erinnern stark an das Theater und lassen bereits in diesen beiden frühen Stücken eine gewisse Handschrift zum Vorschein kommen. Als verbindende Elemente erscheinen auch die menschliche Kommunikation beziehungsweise Nicht-Kommunikation sowie der Antagonismus von Stille und Lärm. Während »no jumping« jedoch stark konzeptionell daher kommt, wirkt »P_1« – wie auch ihre Bachelorarbeit – persönlicher, ja psychologischer. Das ist schon alleine deshalb so, weil jede und jeder merkt, dass Karen zwar schon vor dem Publikum steht, aber in Gedanken noch ganz bei sich ist. Diesen Moment des Nachdenkens und der Unsicherheit zögert sie ins Unerträgliche hinaus. Ganz so wie in der Bachelorarbeit macht sie hier das, was sie bewegt, zum Thema und zum Medium der Performance. Der Einblick, den die Zuschauerinnen und Zuschauer über das Medium Aufregung und der damit verbundenen Sprachlosigkeit in Karens Seelenleben erhalten, macht ihr Schweigen so unerträglich, so erwartungsbeladen, so laut. »Ich habe immer sehr große Angst etwas in Worte zu fassen — schriftlich, sprachlich« erklärt Karen. Und daher rührt auch ihr Wunsch, sich körperlich im Raum zu inszenieren, mit den Händen ein Bühnenbild zu erschaffen, um darin performativ zum Ausdruck zu bringen, was ihr sprachlich schwerer fällt. Und die Instrumente? Die Instrumente verschaffen ihr Zugang zu einer neuen Kommunikationsebene, die ihr im Gegensatz zur Sprachebene die Freiheit lässt, sich ohne festgezurrte Konventionen frei auszudrücken. Ganz im Gegensatz zur schweigenden, sprachlosen Karen, verschafft sie sich damit nicht einfach nur Gehör: mit dem unüberhörbarem Lärm drängt sie sich den Zuschauerinnen und Zuschauern nahezu auf.

»Dann … das hat mich auch ein bisschen befreit natürlich, dann hat man sich getraut, und dann bin -- ich weggefahren, nach Mexiko, fürn Monat und das war super schön, aber dann hab ich vorher gedacht: Das hat ja irgendwie gar nichts mit meinem Studium und mit dem zu tun was ich mache -- und ich finde es auch immer irgendwie schwierig, wenn Leute im Urlaub was filmen -- «

Karen zeigt das Video eines Videos, das auf einem Fernseher abgespielt wird. Zu sehen ist eine mexikanische Stadtlandschaft, die, aus dem Fenster eines Busses hinaus gefilmt, an den Betrachterinnen und Betrachtern vorbei zieht. Um den Fernseher herum platziert sind tropisch anmutende aussehende Topfpflanzen; Gitarren und spanischer Gesang ertönen, während eine schwarz gekleidete, nicht erkennbare Person in knallroten Absatzschuhen damit beginnt, sorgsam die Pflanzen zu gießen. Die mexikanischen Klänge lassen das Pflanzenarrangement keineswegs exotischer, sondern vielmehr deplatziert erscheinen. Die Idylle der fremden Flora im heimischen Wohnzimmer wird als Fake entpuppt, als eine widerrechtliche Aneignung von Gütern und deren Entführung an einen fremden Ort; genauso der touristische Blick, der sich mittels Filmaufnahme eine Kultur zu eigen macht, die nicht die seine ist.

 

Die letzte Arbeit der Reihe ähnelt Karens erster Arbeit an der KHM stark: »Das hat mich nämlich nicht losgelassen, was passiert, wenn ich diese Performance für die Kamera inszeniere —— das, was eigentlich unwiederbringlich ist«, sagt sie. Wieder tritt das Mikrofon als zentrales Objekt auf, wieder die Trommel auf ihrer Treppe, auch die Pflanzen aus »P_2« scheinen wieder vertreten, der geteilte Bildschirm erinnert an »Bachelor«. Das Setting dieser neuen Performance wirkt stark inszeniert, alle Objekte wurden mit Bedacht gewählt und in grafischer Manier platziert. Gleichzeitig wurden sie mit neuen Bedeutungsebenen versehen: die umkehrte Treppe als Pflanzenpodest, die Turnmatte als Bettmatratze, das Mikrofonstativ als Paravent. Besonders auffällig im Vergleich zur ersten Performance ist das Auftreten Karens, die nicht etwa unsicher und schüchtern wirkt, sondern aufrecht und komfortabel in ihrer Schauspielrolle.

Ausgerechnet der Charakter der Inszenierung entzieht der Performance das Psychologische, welches in »P_1« durch Karens spontane Selbstauslieferung an das Publikum so tiefe Einblicke ermöglichte. Bemerkenswert ist jedoch, dass die Performance »P_3« viele Facetten ihres jüngeren Vorbilds erst in aller Deutlichkeit zum Vorschein bringt – und andersherum – was die beiden schließlich untrennbar werden lässt. Und somit fügt sich »P_3« logisch in eine Folge von Arbeiten ein, die durch eine stetige Auseinandersetzung Karens mit sich selbst und ihrer Rolle als Künstlerin entsteht. Sie erzählt die Geschichte einer Entwicklung, die kein festes Ziel vor Augen hat, sondern die den Prozess als wichtigstes Ziel anerkennt. Dieser Prozess ist ein forschender – denn indem sich Karen immer aufs Neue zum Objekt ihrer Performances macht und dabei in unterschiedliche Kontexte versetzt, gibt sie den Dingen den Raum und sie spielt sie gegeneinander aus. Wie in ihrer jüngsten Arbeit »You are«, die Karen in Zusammenarbeit mit anderen Künstlerinnen und Künstlern performt (Daniel Burkhardt | Sina Guntermann |  Rike Hoppe | Danila Lipatov | Thomas Meckel | Andreas Niegl |  Marios Pavlou |  Faris Rj |  Hye Young Sin | Lili Villalba | Tobias Yves Zintel). Einander zugewandt im Raum stehend sprechen die Akteurinnen und Akteure Zuschreibungen aus:

»You don't have nothing.« --- »You have no American Express.« --- »You have no visa.« --- »You have no Pizza.« --- »You have to pay online.« --- »You hit your breaks«. --- »You have no access.«

 

 

 

Belanglos klingende Zuschreibungen folgen in schnellem Takt auf private und politische Zuschreibungen, reguliert durch einen simplen Algorithmus. Der improvisierte Charakter der Sprachperformance in Kombination mit der Geschwindigkeit der Interaktion und dem Zwang zur Spontaneität lassen eine spannende Eigendynamik entstehen, die die Stimmung und das, was die Einzelnen aktuell beschäftigt, zu spiegeln vermögen. Damit die Gruppe jedoch zu »einem« verschmelzen und dementsprechend agieren kann, müssen die einzelnen Mitglieder von ihren persönlichen Befindlichkeiten ablassen und sich voll und ganz der Dynamik der Performance hingeben. Die Performance wurde zum Anlass für die Gründung des Performance-Kollektivs YOU ARE.

You Are

Derzeit beschäftigt sich Karen mit einer zyklisch angelegten Arbeit, in der sie sich ein weiteres Mal in unterschiedliche Situationen und Rollen begibt. Ausgehend von »einer Gegenüberstellung von hausgebräuchlicher Astrologie und zeitbasiertem Persönlichkeitscoaching« – so sagt sie – will sie auf einem immer wiederkehrenden portablen Möbel Gespräche mit unterschiedlichen Leuten aus verschiedenen Kontexten führen. Das Möbelstück ähnelt einer kleinen schwarzen Treppe mit weißen ornamentalen Mustern darauf, es steht in einer Art hölzernen Rahmen, der leer ist. Die beiden Bestandteile stehen senkrecht zueinander, ineinander verschränkt. Die Bedeutung dieses skurrilen Settings erschließt sich nicht sofort, doch in jedem Fall lässt es einen Raum für Interpretation entstehen, der nur darauf wartet, bespielt zu werden.

Johanna Warchol
Vortragsreihe des Masterstudios »Experimentelles Design«
Semesterarbeit

Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Anja Vormann