Unheard Voices

Handschriften, Wandmalereien und Schablonen zeichnen sich auf den Wänden der Stadt ab. Viele Bewohner Tel Avivs nutzen die Graffiti, um ihre persönlichen, sozialen oder politischen Positionen zu kommunizieren. Die Wände bieten ihnen die Möglichkeit ihre Stimme mit der Öffentlichkeit zu teilen. Während meines Auslandssemesters in Tel Aviv setze ich mich mit verschiedenen Fragestellungen auseinander. Was haben die Bewohner Tel Avivs zu sagen? Welche politischen Positionen vertreten sie? Wer kann die Graffiti an den Wänden entziffern?

Besuchern Tel Avivs bleibt das Deuten der Graffiti aufgrund der hebräischen Sprache verwehrt. Auch ich versuche vergeblich die Buchstaben von den Wänden abzulesen. Trotz meines Hebräisch Sprachkurses, den ich in Deutschland absolviert habe, fällt es mir schwer, die oft schon verwischten Buchstaben zu erkennen. Die Graffiti zeigen unterschiedliche Handschriften, Schriftarten und Möglichkeiten mit dem Alphabet zu spielen. Hebräisch wird von rechts nach links geschrieben – ohne Vokale zu verwenden. Das Ändern eines kleinen Details kann dem Wort eine ganz neue Bedeutung geben. Die Schriftzeichen bleiben für mich ein Rätsel, das ich lösen möchte.

Am Holon Institute of Technology studiere ich für fünf Monate visuelle Kommunikation und bitte eine israelische Kommilitonin, um Unterstützung. Das Thema Graffiti eröffnet ein neues Thema zwischen uns und ein gemeinsames Projekt entsteht. Yael Feldmann und ich übersetzten gemeinsam die Graffiti der Stadt – unsere unterschiedliche Herkunft ermöglicht uns neue Perspektiven auf das Projekt.

Yael und ich laufen durch die Stadt, um verschiedene Graffiti zu analysieren, zu übersetzen und zu diskutieren. Eines der ersten Graffiti, das wir sehen, übersetzt Yael: »Wenn ich Rothschild wäre, würde ich nichts an die Zionisten spenden.« Wer ist Rothschild? Warum kritisiert der Künstler den Zionismus? Welcher Partei gehört der Künstler an? Yael erklärt, dass Rothschild ein reicher Mann war, der die Zionisten unterstützte und half, den Staat Israel zu etablieren. Der Künstler könne zu einer linken Partei angehören, die an Gleichheit zwischen Juden und Arabern in Israel glaubten; und nicht an die Zionisten, die Israel als Staat des jüdischen Volkes sehen. Wir gehen weiter und passieren ein weiteres Graffiti: »Wenn ich Jerusalem vergesse, ist es wegen Tel Aviv.« Yael kommentiert diesen Satz, er sei angelehnt an einen religiösen Ausdruck. Das Graffiti beschreibe mit Humor, dass Tel Aviv wichtiger als Jerusalem geworden ist und mache sich über den Wettbewerb zwischen den beiden Städten lustig. Ein weiteres Graffiti beschäftigt sich mit der Jugend und den Kindern Israels »Israel Kinderarmee.« Yael erzählt, auch sie sei für zwei Jahre verpflichtend zur Armee gegangen, wie jeder junge Bürger in Israel. Das Graffiti kritisiert die israelische Regierung in Bezug auf den Einsatz junger Erwachsener zum Schutz des Landes. Junge Menschen haben keine Wahl und verbringen einen Großteil ihrer Zeit in der Armee.

Das Projekt »Unheard Voices« präsentiert eine Auswahl von zwölf Graffiti an den Wänden Tel Avivs. Unser Ziel ist es, die Stimmen der Graffiti mit den Bewohnern und Besuchern aus Tel Aviv zu teilen. Das Projekt  ist eine interaktiv-gestaltete Zeitschrift aus Karten, Postern und Graffiti. Die zwölf Karten zeigen die Graffiti in Schwarz und Weiß, sodass der Fokus auf jeder einzelner Stimme liegt. Ergänzt wird das Magazin mit einer Stadtkarte und den verschiedenen Standpunkten der Graffiti, um als Betrachter die Möglichkeit zu haben die Graffiti in der Stadt im Original aufzusuchen.

Unheard Voices – 2,78 kB

Janna Lichter und
Yael Feldman
Unheard Voices
Semesterarbeit

Holon Institute of Technology (HIT)
Fachbereich Design
betreut von Talia Freed