Ja das kennt man ja auch von Mädchen, dass die sich öfter mal in den Arm nehmen, Zärtlichkeiten austauschen oder die Hand nehmen. Dann muss man erstmal abwarten, ob das ein Leben lang so bleibt.
Hast du eigentlich einen Freund? Fragen wie dieser bin ich früher auf Familienfesten eher schüchtern ausgewichen. Meine erste Beziehung habe ich ziemlich lange geheim gehalten, jedenfalls in der Schule und in der Nachbarschaft. Auch heute sehe ich mich noch mit Heteronormativität und daraus resultierenden Lebensentwürfen und Strukturen konfrontiert. Gerade in ländlichen Regionen existieren immer noch Konventionen, bezüglich der Rollen- und Geschlechterverhältnisse innerhalb der Gesellschaft. Doch mittlerweile spreche ich offen über Themen wie Outing und Identität und nutze meine Rolle als Gestalter*in, um dadurch ein Umdenken in der Gesellschaft, aber auch in der Filmbranche anzustoßen.
Spannend finde ich in diesem Zusammenhang Ansätze des Videoaktivismus. Dieser entstand mit Beginn sozialer Bewegungen in den 1970er Jahren. Im Zuge der zweiten Frauenbewegung gründeten sich die ersten lesbisch-feministischen Gruppen. Neben öffentlichkeitswirksamen Protestaktionen wurde eine starke Vernetzung initiiert. Frauenfeste und bildende Veranstaltungen wurden organisiert. Die entwickelten Organisationsstrukturen ermöglichten eine Anerkennung lesbischer Lebensweisen als selbstverständliche Realität. Handlungen waren trotzdem meist nur in privaten oder halb-öffentlichen Räumen möglich. Deswegen blieben lesbische Lebensformen in den Massenmedien meist unsichtbar. Wenn Darstellungen existierten, waren diese klischeebehaftet und negativ konnotiert. Zeitgleich wurden technische Apparate handlicher und ermöglichten fortan mehr Mobilität und Flexibilität. Produktionen waren nicht länger gebunden an Räumlichkeiten, festkalkulierbare Parameter oder mehrköpfige Produktionsteams. Dynamik und Unmittelbarkeit waren die Folge. Authentizität wurde zum Ziel dokumentarischer Formate. Aktivist*innen machten sich diesen technischen Fortschritt zu eigen. Sie setzten die Kamera als Instrument ein, um Geschehnisse zu dokumentieren und Ideen und Gedanken zu manifestieren. Medienarbeit wurde zum begleitenden und unterstützenden Element aktivistischer Handlungen. Ziel war es, durch selbstbestimmte, kollektive Medienarbeit eine Gegenöffentlichkeit zu schaffen. Alternative Sichtweisen, Deutungen und Themen sollten in den öffentlichen Medien platziert werden, um gesellschaftskritische Diskurse anzustoßen.
Und dann hast du es mir erzählt… Und zwar hast du zu mir gesagt, Oma ich komme am Sonntag mal bei dir vorbei, ich muss dir mal was erzählen. Und da habe ich mich so gefreut, dass du kommst und was hast du gemacht? Du hast deine Freundin mitgebracht.
Doch hat sich durch den Videoaktivismus wirklich grundlegend etwas an der Darstellung lesbischer Lebensformen geändert? Erst während der zweiten Frauenbewegung begannen sich feministische Filmemacher*innen überhaupt der Rolle der lesbischen Frau in Filmen zu zuwenden. Heteronormative Bildsprachen wurden erstmals abgelehnt, an dessen Stelle traten neue, experimentelle Formen abseits des Mainstream-Kinos. Ab 1989 versuchten junge Filmemacher* innen gegen das – bislang im Kino vorherrschende klischeebehaftete und stereotypische Bild der lesbischen Frau zu rebellieren. Beliebt war bis zu diesem Zeitpunkt die Darstellung als sex-lüsterner Vampir (»Vampiros Lesbos«, 1970) oder als sadistische Gefängnisaufseherin (»Barbed Wire Dolls – Frauengefängnis«, 1975). Trotz vielfältiger Ansätze und Annäherungen an die Thematisierung lesbischer Liebe, widmeten sich viele Werke der Erklärung und sogar der Rechtfertigung. Im Zuge der Etablierung des »New Queer Cinema« änderte sich dies. Der Begriff wurde geprägt durch die US-Filmkritikerin Ruby B. Rich im Jahre 1992. Independent Produktionen sensibilisierten die Zuschauer nicht länger für homosexuelle Lebensweisen, vielmehr provozierten und konfrontierten sie selbstbewusst mit radikalen Bildern. Die meisten Produktionen blieben jedoch Nischen-Produkte. Sie wurden ausschließlich auf Festivals vorgeführt oder nur für den DVD-Markt produziert.
Heute existiert eine Vielzahl queer – feministischer Filmfestivals und Symposien, die die Sichtbarmachung und Wertschätzung von lesbischer Kameraarbeit und lesbischen Perspektiven sichern. Programmkinos beteiligen sich mittlerweile durch monatliche Filmvorführungen und Filmgespräche, in Form von queeren Filmnächten. Auch das damals gegründete Berliner Lesben – Archiv Spinnboden ist noch aktiv und treibt Aufklärungsarbeit voran. Sogar in großen Filmproduktionen (»Moonlight«, 2016) und bekannten Serien (»Orange is the new black«, 2013) wird die Thematik aufgegriffen. Dennoch existieren fortlaufend stereotypische und klischeebehaftete Darstellungen. Seit ein paar Jahren hat sich auch ein neues Phänomen herausgebildet das »Queerbaiting«. Darunter versteht man ein falsches Versprechen queerer Storylines und Narrative. Lesbisches Leben wird also in den Medien platziert, eine Identifikation mit Darstellung bleibt jedoch oft aus, da der eigene Lebensentwurf stark von präsentierten Inhalten abweicht. Hinzukommt, dass ein lesbischer Lebensentwurf seitens der Gesetzgebung zwar geduldet und akzeptiert wird, dennoch existieren in der Gesellschaft fortlaufend Vorstellungen von Andersartigkeit und Diversität. Dies wird besonders im Prozess des Outings deutlich: Ein alternativer, nicht heteronormativer Lebensentwurf muss immer artikuliert und deutlich sichtbar markiert werden.
Ich lebe offen lesbisch, habe mich bei meinen Freunden, meiner Familie und auch in weiter entfernten Kreisen geoutet, genau wie Lena, Dajana und Vivien. Wir sind alle in einer ländlicheren Region aufgewachsen und leben immer noch dort. Seit zehn Jahren spielen wir in einer Mannschaft Fußball und haben uns auch abseits des Sportplatzes einen gemeinsamen Freundeskreis aufgebaut. Unser Outing, unsere erste Trennung oder die erste Wohnungssuche haben wir gemeinsam erlebt. Doch wir sind nicht immer so locker mit dem Thema umgegangen, denn gerade in ländlicheren Regionen erscheint lesbisches Leben noch immer konfliktbehaftet oder gilt als Tabu. Hinzukommt, dass der eigene Lebensentwurf im Kino, in Serien oder im Mainstream nicht wirklich abgebildet wird. Klischees werden aufgegriffen und fortgeführt. Der Wunsch nach einer alternativen Repräsentation kommt aus der Gruppe selbst. Alle möchten ihre Geschichte erzählen, um die eigene Identität zu stärken, aber auch um anderen Frauen Mut zu machen offen zu sprechen.
Bei dem Projekt how we live werden einige aktivistische Ansätze aufgegriffen und weiter entwickelt. Ziel ist die Gestaltung von Film-Workshops mit partizipativem Ansatz, die in einer filmischen Dokumentation enden. Drei Workshops sollen die Teilnehmer*innen ermächtigen, den gesellschaftlichen wie privaten Umgang mit dem lesbisch Sein theoretisch, wie gestalterisch zu reflektieren. Dafür wird ein dialogischer Raum gestaltet, der einen Austausch über Lebensentwürfe lesbischer Frauen ermöglicht. Technik und Know-how werden zur Verfügung gestellt, Inhalte werden eigenverantwortlich festgelegt.
Aufgewachsen in der stark konservativen Lebensmodellen verhafteten ländlichen Region von Mettmann befragt eine Gruppe lesbischer Freundinnen ihre eigene Lebenssituation, die Öffnung und Anerkennung in der Familie und damit die Umstände, unter denen sie so sein und leben können, wie sie sind. Gegenseitige Beobachtung, Interviews mit Familienangehörigen und Skizzierung der Lebensumstände anhand von Freizeitaktivitäten werden filmisch fixiert. Lena, Dajana, Vivien und Laura sind die Protagonist*innen des Films und zugleich die Akteur*innen, die die Kamera in die Hand nehmen und ihre Geschichte selber filmen – Zwischen Fußball und Freizeit, gemeinsamen Kochabenden und ernsten Diskussionen, zwischen Kleinstadtidylle und Vorurteilen. Im Schnitt werden diese verschieden filmischen Ebenen und Elemente miteinander verbunden. Es entstehen vier gleichgewichtige personenbezogene Episoden aus dem Material der freien Arbeitsphase. Gezeigt werden Begegnungen, individuelle Interessen und die Konstellation in der Gruppe. Es gibt Brüche, Überzeichnungen und lose Elemente, auf der Suche nach einer alternativen Erzählstruktur in dokumentarischen Formaten.
Ach so, nimmt das schon auf? Da läuft die Zeit ja und da leuchtet ein roter Punkt der immer blinkt…
Die Arbeit möchte ihre Protagonisten über das Filmen am Gestaltungsprozess teilhaben lassen. Denn die filmische Umsetzung ist integraler Bestandteil der kritisch reflexiven Hinterfragung der eigenen, wie familiären Prägung durch bestimmte gesellschaftliche Vorbehalte und Vorurteile. Gestaltung dient in diesem Sinne der Befragung von Wertvorstellungen, Gesellschaftsbildern und ermöglicht eine Bewusstwerdung und Vergegenwärtigung als erster Schritt zum Wandel. Die Kamera dient dabei als beobachtendes Auge und gleichzeitig distanzschaffende Apparatur. Die Kameraarbeit erfordert Kommunikation und Austausch innerhalb der Gruppe und zwischen den Gesprächspartner*innen. Neben der aktiven Mitgestaltung geht es vor allem um ein Sichtbarmachen des nicht Gesehenen und nicht Gesagten. Bilder dienen hier als Vermittler, um Atmosphären, Ideen, Vorstellungen, Ängste und Gedanken außerhalb oder unterstützend zur Sprache zu tauschen. Die aufgezeichneten subjektiven Blickwinkel und Geschichten haben das Potential, Gespräche einzuleiten und Kommunikation zu initiieren.
Der Film präsentiert die sehr persönlichen Geschichten als individuelle Lebensumstände, erhebt keinen Anspruch auf Verallgemeinerung, sondern soll vielmehr als Pilot verstanden werden, dem weitere Workshops und filmische Portraits folgen können.
Laura Oldörp
How we live
Aktivistischer Dokumentarfilm
Abschlussarbeit
Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof*in Anja Vormann und
Prof*in Dr*in Swantje Lichtenstein