Kurz vor meiner Abreise nach Durban erreicht mich eine Mail. Als Teilnehmerin der ISEA, International Symposium for Electronic Arts, werde ich über die Veränderungen der neuen Straßennamen informiert. In der Nachricht heißt es, die aus der Kolonialzeit geprägten Straßennamen wurden zu Held*innen der südafrikanischen Freiheitsbewegung umbenannt.
Das Projekt »FUTURE 03« eröffnet unterschiedliche Narrative Durbans im Hinblick auf die postkolonialen Veränderungen der Stadt. Durbans Straßen und öffentliche Plätze prägen die urbane Identität und gestalten die räumliche Praxis. Mit dem Fokus auf den postkolonialen Wandel der Stadt und dem Blick auf ein demokratisches Südafrika änderte die Regierung 2006 die Straßennamen mit Bezügen zur Kolonialzeit. Ausgangspunkt des Projekts ist die Umbenennung von North Coast Road oder Old Main Road hinzu Dr. Yusuf Dadoo Street oder Moses Kotane Road. Wer beherrscht die Straßen im Zentrum? Wessen politische Interessen werden vertreten? Was haben Frauen zur aktuellen Situation Durban zu sagen? Das Projekt dokumentiert mittels Foto, Text und Video den Wandel und den Alltag der Straßen Durbans, sowie die Stimmen der Bewohner*innen.
Während der ISEA tauche ich mehrere Tage in die kreative und digitale Welt Durbans ein. Ich besuche Gallerien, Museen und Installationen, überall finden künstlerische Aktionen statt. Die immersive Identität der ISEA spiegelt sich auch im städtischen, urbanen Raum Durbans wieder. Ketha begegne ich auf dem Abschluss-Event der ISEA. Abends werden Kunstwerke an Hauswände projiziert, virtuelle Realitäten eröffnen sich und auf dem Balkon komme ich mit internationale Künstler*innen ins Gespräch. Am nächsten Tag treffen sich Ketha und ich in seiner Werkstatt in einem Hinterhof. Er verbindet Jeans-Stoffe mit Leder, und hat mit seiner selbstgeschneiderte Mode-Linie weltweit Erfolg. Das Schustern hat er von seinem Großvater gelernt. All seine Freunde sind Künstler*innen, viele von ihnen arbeiten kritisch an aktuellen Themen wie Macht, Globalisierung und Industrialisierung.
Für meine erste Orientierung in der Stadt bewege ich mich hauptsächlich im Zentrum Durbans. Die Viertel sind immer noch stark voneinander getrennt und ich bin eine der wenigen weißen Frauen. Die Wohn- und Einkaufsviertel der weißen Bewohner befinden sich außerhalb der Stadt. In der Innenstadt laufe ich an Nationalmonumenten der Kolonialzeit vorbei, an Markständen, Perücken werden am Straßenrand verkauft, Friseursalons kämpfen um ihre Existenz, Fish und Chips Restaurant stehen neben traditionellen Street Food Ständen und Skateboarder fahren die überfüllten Promenade entlang. Ketha treffe ich immer wieder zwischendurch, der mir mehr über den Kontext und die Geschichte der Stadt erzählt. Während ich weiter durch die Straßen laufe, begegne ich Thembo, einem Fitness-Lehrer, und Lelo, ein Model aus Durban. Von nun an bin ich jeden Tag mit ihnen unterwegs – die Geschichte Durbans wird mir durch ihre persönliche Sicht eröffnet, die ich versuche in einen historischen Kontext zu verorten.
»The street naming project will give communities a sense of belonging. We want to ensure all our people have streets with names to allow for easy identification of the street and properties and assist in efficient service delivery and in speedy response to emergency needs of the community.« Councillor Mpume Sithole
Der Stadt Durban, mit 3,4 Millionen Einwohner, wurde durch die Küstenlage und den Hafen ein wirtschaftlicher Aufschwung verliehen. Anlässlich des postkolonialen Wandels der Stadt repräsentieren heute im Zentrum Durbans die Namen von öffentlichen Plätzen und Straßen die Geschichte Südafrikas. Die Straßennamen sind Teil des alltäglichen, öffentlichen Lebens und formen die Identität der Stadt und der Gesellschaft. Beginn der Namensänderungen war die Ankündigung der Regierung des Gesetz Nr. 118 des South African Geographical Names Council im Jahr 1998. Die Regierung beschreibt die Maßname als Reaktion auf die Transformation zu einem demokratischen Südafrika. Seit 2006 findet die Umsetzung statt, bis heute wurden mehr als hundert Straßennamen umgeändert, Schilder erneuert und neue Dynamiken entstanden.
Die Namensänderungen beruhen auf ehemaligen Stadt- und Militärbeamten, Ereignissen oder einflussreichen Einwohnern wie Bertha Mkhize Road, Dr Yusuf Dadoo Street oder Dr Goonam Street. South African History Online (SAHO) berichtet über Menschen, die zum Aufbau Südafrikas beigetragen haben. Das digitale Archiv sammelt Biografien wichtiger Personen, die nun die Straßen Durbans vertreten, wie Bertha Mkhize, eine südafrikanische Lehrerin und eigenständige Unternehmerin, die sich als Schneiderin emanzipierte. Als die Umsetzung der Apartheid in den 40er Jahren begann, schloss sie sich Gewerkschaften und Frauenorganisationen an. Oder, Dr. Yusuf Mohamed Dadoo, der eine essenzielle Rolle in der südafrikanischen Befreiungsbewegung spielte. Er schaffte es, unterdrückte Völker zu einer Einheit zusammenzuführen, zum gemeinsamen Kampf gegen Rassismus mit grenzüberschreitenden Veränderungen.
Neben stößt die neue Regelung auch auf Gegenstimme. Die Mail & Guardian – Africa’s best read schreibt, dass bis zu 10.000 Menschen im Mai 2007 auf Durban’s Straßen protestierten. Die Kritik liegt in den Kosten der Umbenennung oder Personen, die für Durban von geringer Bedeutung sind. Weitere Gegenstimmen waren der Meinung, dass die Geschichte der Stadt verwischt wird. Doch der Widerstand kommt hauptsächlich von zwei Bevölkerungsgruppen, den weißen Einwohner der Stadt, der Partei Democratic Alliance (DA), und schwarz Zulu-sprechende Anhänger, Oppositionspartei Inkatha Freedom Party (IFP) beschreibt Koopman. Die Regierung, heute die schwarze Mehrheitspartei, African National Congress (ANC), mit dem damaligen Präsident Nelson Mandela, verteidigt sich. Sie will gegen jahrzehntelangen Unterdrückung und Rassismus entgegen wirken. Namen von Straßen und öffentliche Plätze sollen die Geschichte der »collective culture of all South Africa« widerspiegeln. Im Oktober 2019 wird verkündet, dass im nächsten Bezirk die Namen von Straßen und öffentlichen Plätzen umgeändert werden. Barea Mail schreibt »The streets around Durban’s Denis Hurley Centre are due for name changes.« Die Straßennamenänderungen werden weiter fortgesetzt, sowie auch der Wandel Durbans immer weiter fortschreitet.
In meiner Recherche beziehe ich mich auf Stuart Hall, ein wichtiger Vertreter der Culture Studies, und seine Praxis der Repräsentation. Hall stellt sich die Frage, wie Repräsentation und Bedeutung mit Sprache und Kultur zusammenhängen. Im Bezug auf Durban – inwieweit ist die Repräsentation der Straßennamen wichtig bezüglich der Wiederspieglung der Kultur Durbans? Hier unterscheidet Hall zwischen zwei wichtigen Systemen der Repräsentation, individuelle und kollektive Konzepte der Repräsentation. Zur Aushandlung dieser zwei Konzepte, müssen gemeinsame Zeichen gefunden werden. In der heutigen Zeit sind diese Zeichen meistens Form von Sprache. Dadurch, dass Sprache also konstruiert wird, wird Bedeutung durch Sprache produziert. Schließlich formt Sprache Kultur und füllt sie mit Bedeutung.
»Signs stand for or represent the concepts and the conceptual relations between them which we
carry a round in our heads and together they make up the meaning-system of our culture.« Stuart Hall
Als Beispiel beschreibe ich den Prozess der Änderung von Straßennamen in Durban und wende Halls Theorie an. Zeichen, in dem Fall Straßennamen, die mit Bedeutung während der Kolonialzeit aufgeladen wurden, lenken und bestimmen die Kultur. Die Regierung Durbans eignet sich durch die Änderung der Straßennamen ihre eigene Bedeutung wieder zurück. Die urbane, städtische Identität ist im Wandel, und die Änderungen sind Teil des Prozesses gegen Unterdrückung. Im folgenden habe ich die Straßen im Zentrum Durbans untersucht und meine Beobachtungen dokumentiert. Während meiner Recherche bin ich mit Menschen ins Gespräch gekommen, die mir die Stadt näher zeigten und mir einen Zugang ermöglichten. Meine persönlichen Begegnungen versuche ich in Form von Bild und Text zu übersetzen und zu kommunizieren.
FUTURE 03
Janna Lichter
Semesterarbeit
Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof. Anja Vormann
Danke an Themba, Ketha, Lelo
Referenzen:
1. Hall, Stuart. Representation: Cultural Representations and Signifying Practices. Sage, 2013.
2. Koopman, Adrian. The post-colonial identity of Durban. Helleland, B. C.-E. Ore & S. Wikstrøm (eds.) Names and Identities, Oslo Studies in Language, 2012.
3. Kumalo, Simanga. Monumentalization and the renaming of street names in the city of Durban (Ethekwini) as a contested terrain between politics and religion. New Contree, No. 70, Special Edition, 2014.
4. Ndletyana, Mcebisi. Changing Place Names in Post-Apartheid South Africa: Accounting for the Unevenness. Social Dynamics, Vol. 38, No. 1, 2012.
Weiterführende Links:
www.durban.gov.za
www.iol.co.za (30.04.2007)
www.durban.gov.za (1.5.2007)
www.mg.co.za (1.5.2007)
www.iol.co.za (8.10.08)
www.bereamail.co.za (30.10.2019)
www.sahistory.org.za