Die Ästhetik des Zufalls

Unversehene Vorfälle

Das Projekt »Die Ästhetik des Zufalls« von Dennis Hölscher hinterfragt mittels verschiedener Experimente Wege eines gestalterischen Prozesses, in denen der Zufall oder zufällige Parameter eine tragende Rolle spielen.

Die Abschlussarbeit beschäftigt sich mit dem Zufall in der ästhetischen Form- und Gestaltfindung. Mit den Disziplinen Fotografie, Sound-Typografie, Programmierung und Malerei wurde sich der Thematik genähert. Die Versuche sollen Sehgewohnheiten und Gestaltungskonformen aufbrechen und neue Lösungswege finden. Die Erkenntnisse sollen für den zukünftigen Gestaltungsprozess genutzt werden. Der Raum des Experiments bietet immer die Möglichkeit zurückzukehren, meist ergeben sich aber spannende Arbeiten. In seiner gestalterischen Arbeit werden analoge und digitale Techniken vermischt. Die crossmediale Transformation erzeugt in jedem Schritt zufällige Parameter, die das gestalterische Ergebnis beeinflussen. Im immer schneller werdenden Strom der Herstellung von grafischen Produkten findet sich oft keine Zeit sich mit dem Grund des Handwerks der Grafik auseinanderzusetzen.

Die Gebrüder Grimm definierten den Zufall in ihrem Wörterbuch wie folgt: »Der Zufall bezeichnet das unberechenbare Geschehen, das sich unserer Vernunft und unserer Absicht entzieht. Zufälle sind Vorfälle, die unversehens kommen«.  Die anfängliche Befürchtung, dass es unmöglich sei ein zufälliges Werk zu erzeugen, bestätigt sich im Prozess, weil alles mit dem Gestalter als ausführende Kraft in Verbindung steht. Das Ergebnis kann dadurch nur subjektiv sein. Kann laut den Gebrüdern Grimm bei einem Kunstwerk von einem Vorfall sprechen, der »unversehens kommt«? Die Ausstellung soll Experimente präsentieren, die den Zufall in den Gestaltungsprozess einschließen, aber nicht gänzlich an ihn ausliefern. Die Ergebnisse laden dazu ein über sie zu sprechen. Es lässt sich vermuten, inwieweit der Zufall tragende Rollen spielt oder lediglich am Rande zum finalen Objekt oder Ergebnis beigetragen hat.

Digitale & analoge Überschneidungen

Ausgangspunkt ist die Idee einen typografischen Begriff als Schriftbild, den Zufall einbeziehend, zu verzerren. Voraussetzung war es einen Begriff zu finden der inhaltlich nichts transportiert, das als Appell zu irgendetwas dient oder politische beziehungsweise ästhetische Botschaften vermittelt. »Selbstzweck« ist der gewählte Begriff der in dieser Form als Basis für eine zufallsbasierte Formfindung dient. »Selbstzweck« bezeichnet einen Vorgang oder eine menschliche Betätigung, die ihren Wert in sich selbst hat und nicht als Mittel zur Verfolgung eines anderen Zweckes dient.

Im ersten Schritt wurde das Wort digital geschrieben und ausgedruckt. Die erste Transformation beeinflusste das Ergebnis nicht grundlegend. Pixel wurden mit Toner auf Papier übersetzt. Das Ergebnis soll in diesem Prozess möglichst getreu der Vorlage sein.

Der nächste Schritt ist maßgeblich für das Formexperiment mit Typografie: Während des Scanvorgangs wurde das gedruckte Wort in verschiedene Richtungen bewegt. So wurde das Ergebnis des Scans durch bewusste Handbewegungen beeinflusst. Wie aber die verzerrte Schrift final aussehen würde, konnte nicht erahnt werden. Der analoge Bewegungseingriff veränderte die digitale Konservierung der Bewegung im Bild. Im letzten Schritt wurde das Ergebnis auf eine Holzplatte mit natürlicher Maserung analog übersetzt. Die natürliche und nicht vorhersehbare Maserung begünstigte den nicht berechenbaren Hintergrund. Das Schriftbild wurde mit schwarzer Acrylfarbe auf den Malgrund übertragen. Die menschlichen Ungenauigkeiten beim Übertragungsprozess trugen zur »Die Ästhetik des Zufalls« bei.

Es den Algorithmen überlassen & zusehen

Wir wissen wo du bist – rund um die Uhr. Jeder Schritt vergrößert die Datenmenge und ist ewiger Zeitzeuge unserer Bewegungen. Das Programm stellt die pure Kontrolle der ästhetischen Zufälligkeit gegenüber und ist eine Kritik über den Verlust der Privatsphäre durch technische »Errungenschaften« und zeigt andererseits die simple Formfindung durch Linien im zweidimensionalen Raum als Experiment. Die zufälligen Koordinaten verbinden sich zu einem Geflecht; einem Netz. Oder sind diese Koordinaten gar nicht zufällig, sondern ein Bewegungsprofil im privaten Wohnraum? In einer beiliegenden Kartei wurden den Bilderzeugnissen zufällige Namenskonstellationen und eine Situationsbeschreibung zugeordnet, um den Anschein zu wahren hier auf hochsensible Daten zu schauen. Doch wem können wir trauen? Wir durchblicken die Algorithmen unseres Alltags nicht mehr.

Handelt es sich womöglich doch um reale Bewegungsprofile? Es soll eine Problematik angesprochen werden, die die meisten Menschen betrifft. Die selbstverständliche Nutzung von Technik im Alltag und den leichtgläubigen Umgang mit ihr werden hinterfragt. Das künstlich erzeugte Image eines Unternehmens ist die Realität vieler Konsumenten. »Bewegung in Profilen« soll unbequeme Wahrheiten sichtbar machen.

Von konkreter Poesie, Equalizern & Wah­Wah

In der konkreten Poesie findet die Dichtung eine neue Herangehensweise an die Sprache. Der beschreibende Charakter von Texten soll hier aufgebrochen werden. Die Sprache selbst wird Gegenstand des Gedichts – sie stellt sich selbst dar mit allen Eigenarten und Anwendungsmöglichkeiten. Reduziert auf bloße Geräusche oder Wortcollagen ohne festen Sinnzusammenhang soll konkrete Poesie oder experimentelle Literatur den Genuss des reinen akustischen Reizes ausmachen. Auch typografische Bilder zählen zur konkreten Poesie. In diesem Fall erweitert sich das Spektrum um einen rein optischen Reiz. Der Inhalt eines Textes wird Beiwerk neben der Komposition von Lettern und Zeichen.

Für das Projekt wurden Satzfetzen von Beschilderungen, Stickern, Straßenbeschriftung und Ähnliches aus ihrem ursprünglichen Kontext herausgelöst und neu kombiniert. Die »Fundstücke konkreter Poesie«, wurden anschließend durch ein Soundexperiment verfremdet als typografisches Bild dargestellt. Die Arbeit vereint mehrere Genres: das typografische Bild als optisches Werk, der Inhalt als konkrete Poesie und die Soundcollage als akustischer Reiz. Textfetzen und Begriffsgruppen, die einem zufällig auf Wänden oder Stromkästen begegnen hinterlassen meistens keinen bleibenden Eindruck. Im Prozess hat sich Dennis aber bewusst darauf eingelassen und ist durch selektive Wahrnehmung auf verschiedene Fragmente gestoßen, um Kombinationen poetischen Ausmaßes zu schaffen.

Die Sammlung und Neuordnung stellen einen wichtigen Bereich von konkreter Poesie dar. Ferdinand Kriwets »Ball« ist eine Aneinanderreihung von Fußballkommentaren und Interviews als Sprachcollage des Fußball-Sports. Er zeichnete die Kommentatoren zahlreicher Spiele und Interviews mit Zuschauern auf und ordnete die Sätze nach Sinnbedeutung, um sie abschließend hintereinander und losgelöst von ihrem ursprünglichen Zweck zu präsentieren. Es entsteht ein Werk, welches sich rein auf Sprache konzentriert.

Die typografischen Bilder als reine Formästhetik wurden anhand zufälliger Bearbeitungsmittel hergestellt. Die konkreten Dichtungen wanderten umgewandelt in ein Sound Programm, wo sie durch Faser, Kompressoren und Equalizer dekonstruiert wurden. Bei der Datenausgabe ergibt sich ein völlig neues Bild. Wild verzerrte Schriftpoesie als Ergebnis eines ästhetischen Experimentes mit dem Zufall.

Ein Ausschnitt aus der technisch verzerrten Realität

Ausgangspunkt dieses Experiments war, dass Flüssigkeit in das Gehäuse seiner alten Kamera gelang und sie technisch fehlerhaftes Bildmaterial erzeugte. Das anfänglich unbrauchbare wurde zum Werkzeug des unberechenbaren Gestaltungsprozesses und ist ein Aufruf das Ästhetische im vermeintlich Fehlerhaften zu entdecken. Auch ist es eine Annäherung und ein Versuch abstrakte Fotografien zu erzeugen. Das Gesehene wird zu einer technisch verzerrten Realität, die unerwartet und fremd ist. Für die Ausstellung wurden die Fotografien in Wasser gefüllte Entwicklerschalen gelegt; ein Zitat und eine Gegenüberstellung an den analogen Entwicklungsprozess der Fotografie.

Die multimedialen Experimente »Die Ästhetik des Zufalls« wurden im Rahmen der Werkschau im Reinraum Düsseldorf vom 20. Juli bis zum 24. Juli gezeigt.

Dennis Hölscher
Die Ästhetik des Zufalls
Abschlussarbeit

Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof. Victor Malsy und
Thomas Hilliges

 

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