Das Ordnen des Nebeneinanders

WITTI: Vorstadtinsel Wittenberger Weg

Für meine Masterarbeit habe ich einen Zeitraum von sieben Wochen in einem stark isolierten Raum, an der Peripherie, vor den Toren der Stadt Düsseldorf gelebt. Die kleine Siedlung am Wittenberger Weg war für kurze Zeit mein Wohnsitz und bot mir die Möglichkeit, eine Thematik weiter fortzusetzen, zu vertiefen und durch neue Methoden intensiver und kritischer zu erforschen. Zugehörig zum Stadtteil Garath (Trabantenstadt der 60er Jahre) ist die Siedlung ein Ort, der unter anderem von hoher Arbeitslosigkeit, sozialen Problemen, Exklusion und Überlebenskampf geprägt ist. Vorurteile und ein stigmatisiertes Bild der Bewohner sind seit dem Bau der Siedlung, die nach dem zweiten Weltkrieg als Notunterkunft für Obdachlose und Aussiedler gedacht war, allgegenwärtig.

»Die Siedlung hat kein Gesicht. Der Wittenberger Weg ist ein eigener Ort, irgendwo dazwischen«

Während meiner Forschungsphase vor Ort habe ich versucht sowohl alltägliches Leben, aber auch persönliche Geschichten zu erfahren. Nicht um die Bewohner bloßzustellen oder die Lebenslagen der Menschen zu bewerten. Ziel war es, die Akteure selbst über den Ort sprechen zu lassen. Ich wollte die Menschen mit einbeziehen, herausfinden, wie die Wahrnehmung derer ist, deren Lebensraum oftmals vom Rest der Gesellschaft durch vorherrschende Urteile und mediale Berichte abgestempelt wird.

»Mein Zuhause ist hier. Ich wohne hier seit über 50 Jahren – da war das hier noch eine Notunterkunft. Niemals wäre ich in den Wohnturm nach Garath gezogen. Das Amt wollten das aber ich habe abgelehnt.«

Durch die visuelle Aufbereitung aller Informationen, das Durchmischen der Eigen- und Fremdwahrnehmung sowie einer Anreicherung durch historische Aspekte, sollte ein Werk entstehen, dass nicht nur über, sondern mit einem Ort und den Menschen berichtet, der in gesellschaftlichen Diskussionen nur selten Raum bekommt. Die so entstandenen Ebenen im Buch stehen für die geschichtliche Entwicklung des Ortes anhand etlicher Zeitungsartikel, Briefen und anderen Schriftstücken. Die Fotografien die gezeigt werden wurden in Zusammenarbeit mit den Kindern- und Jugendlichen vor Ort geschaffen. Verschiedene Digitalkameras wurden dafür über unterschiedliche Zeiträume ausgeliehen. Die dritte Ebene im Buch ist das persönliche Tagebuch, das jeden Tag von mir analog geschrieben wurde. Es befindet sich im hinteren Teil des Buches. Zitate und Gesprächsfetzen aus dieser Alltagswelt durchbrechen den Erzählstrang der Ebenen.

»Früher gab es hier auch einen Konsum (Kiosk). Da habe ich immer Kohl für die Rehe gekauft. Als es die Autobahn noch nicht gab, da ging der Wald bis an unser Haus und wenn der erste Schnee kam, da standen sie auf der Wiese und hatten Hunger – die taten mir leid.«

Der Witti ist ein Ort, der beispielhaft für eine fehlerhafte Wohnungspolitik der vergangenen Jahre steht und Aufschluss über bestehende Machtverhältnisse im eigenen Land gibt. Die vorliegende Publikation lässt sich keinem Genre zuordnen und verleiht mithilfe des gestalterischen Konzepts ein hohes Maß an Absurdität. Diese visuelle Eigenwilligkeit spiegelt den Ort in seiner Erscheinungsform sowie das Nebeneinander innerhalb dieses Lebensraums wider und reiht sich an meine Bachelorarbeit (Der Rand der Gesellschaft) an. Neben der praktischen Ausarbeitung gab es eine intensive Auseinandersetzung auf theoretischer Ebene. Dabei beschäftigte ich mich vor allem mit soziologischen Aspekten, der gesellschaftlichen Realität anhand verschiedener Phänomene wie beispielsweise der Segregation, der Prekarisierung und dem Leben in herausfordernden Wohngebieten im Bezug auf soziale Ungleichheit und Exklusion. Ebenso wichtig im soziologischen Kontext waren verschiedene Theoretiker wie Pierre Bourdieu, Michel Foucault und Henri Lefebvre im Hinblick auf Raumtheorien, speziell die des sozialen Raumes. Neben der zusätzlichen Aufarbeitung des Research und einem historischen Rückblick sowie dem konzeptionellen Teil meiner Arbeit, schließt die theoretische Arbeit mit einem kritischen Fazit zur folgenden Problemstellung ab. Was die Fotografie in sozialen Kontexten leisten kann und wo sie an ihre Grenzen stößt.

»Es gibt hier viele die sich für ihr Zuhause und die Siedlung schämen. Viele von denen steigen meist früher aus dem Bus aus und laufen ein oder zwei Haltestellen zu Fuß. Mir ist das egal. Ich stehe dazu, wo ich herkomme. Die sollen alle mal in meine Schuhe schlüpfen, dann können wir gerne weiter sprechen. Man wird verurteilt, obwohl niemand die Geschichte dahinter kennt.«
Buch Ausschnitt 1 – 5,23 kB
Buch Ausschnitt 2 – 5,23 kB

Annika Opfer
Das Ordnen des Nebeneinanders – Vorstadtinsel Wittenberger Weg
Abschlussarbeit

Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof. Anja Vormann und
Prof. Mareike Foecking

Weiterführende Links
www.annikaopfer.com