Wer etwas sucht, wird immer das finden, was er sucht. In jedem Fund wird das Ziel erreicht, denn in jedem ist seine Suche immanent. Der Fund ist eine selbst-Bestätigung des Suchenden und geht nie über seine Grenzen hinaus. Im Gegenteil, er verengt sie.
Wie kann man also ausgehen, um zu suchen, was man nicht sucht?
Man könnte einwenden: Warum sollte man suchen wollen, was man nicht sucht? Grundlegender müsste man aber fragen, ob es trotz des Wollens überhaupt möglich sein kann.
[…] wie leicht man auch ganz auffällige Erscheinungen übersieht, wenn sie nicht zuvor schon von jemandem beobachtet wurden. [Charles Darwin, Mein Leben, 1876, S. 79]
Charles Darwin ist auf der Weltumsegelung mit der HMS Beagle noch sehr jung und bei weitem kein Naturwissenschaftler: Er ist im Begriff, Pfarrer zu werden und seine Leidenschaft gilt dem Sammeln von Käfern. Dennoch ist er auf der Beagle angestellt als… sagen wir: als wissenschaftliche Hilfskraft. In allen Ländern die sie bereisen nimmt er Gesteinsproben, sammelt Insekten und auch die nach ihm benannten Finken, die fälschlicherweise (und nie von ihm selbst) als Beweis für seine später erscheinende Evolutionstheorie heran gezogen werden.
Sie [die Reise in ferne Länder] schärft und stillt zum Teil auch jenes Bedürfnis und Sehnen, welches, wie Sir J. Herschel bemerkt, ein Mann erfährt, selbst wenn ein jeder körperlicher Sinn voll befriedigt scheint. Charles Darwin, Die Fahrt der Beagle, 1839, S. 657
Das Bedürfnis und Sehnen bleibt unbestimmt, Darwin weiß selbst nicht, nach was er auf dieser Reise sucht. Sicher nicht nach der großen Theorie. Sicher nicht nach den Rankenfußkrebsen mit denen er später seine Theorie belegen wird. Nach “gemeine[n] Vogelarten wie [den] Finken” [↓1] wohl am wenigsten. Und dennoch sucht er etwas. Eine neue Beschäftigung. Ein besseres Verhältnis zu seinem Vater. Die Grenzen der Welt. Oder doch Käfer?
Was den jungen Darwin und seine Suche charakterisiert, ist vor allem ihre Ziellosigkeit, die keine Richtungslosigkeit ist, keine blinde Verwirrung, sondern ganz im Gegenteil: die ihm viele Richtungen ermöglicht. Und gerade weil er nicht weiß, was er sucht, ist er aufmerksam. Es treibt ihn nicht an den Dingen vorbei, weil er hinter ihnen etwas vermutet. Nur so kann er die Dinge überhaupt wahrnehmen und ist offen genug, zu erleben, zu beobachten und dadurch: etwas zu finden.
Unter moralischen Gesichtspunkten sollte eine solche Reise ihn [den jungen Naturforscher] gutwillige Geduld lehren, Freiheit von Selbstsucht, die Gewohnheit, für sich selbst zu handeln und aus jedem Geschehnis das Beste zu machen. Charles Darwin, Die Fahrt der Beagle, 1839, S. 657
Diese Tugenden sind gleichsam Voraussetzung, um sie zu erlangen und Lohn ihrer selbst. Er beschreibt sie als die Eigenschaften eines guten (jungen) Naturforschers und doch sind es eher die des Reisenden, der sich dem Fremden öffnet und als Wanderer [↓2] und Gast (er wird eingelassen, er lässt ein) die Welt wahrzunehmen sucht.
Dieses mystische Denken (der Zugang zum anderen) steckt in der Person Darwins. In seinen Werken wird der Bruch zwischen seinem mystischen und seinem wissenschaftlichen Denken offensichtlich: er zieht sich durch seine Sprache, er quält ihn in Krankheit und bringt seine Theorien hervor.
Dieser Bruch ist uns in Darwin schon fern genug, um ihn erkennen zu können und in uns selbst ist er noch anwesend, sodass wir ihn nachvollziehen können (wir können ihn spüren). Eine solche Bruchstelle erleben, nenne ich einen Darwin’schen Fink finden.
Katharina Hauke
Darwin’sche Finken suchen
Abschlussarbeit
Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof. Anja Vormann und
Prof. Dr. Heike Sperling
Weiterführende Links
www.darwinschefinkensuchen.de