Eskapismus

Das Wort Eskapismus wurde etwa Mitte des 20. Jahrhunderts aus dem englischen escapism übernommen (to escape: entfliehen, über Altnordfranzösisch escaper zurückgehend auf das vulgärlateinisch excappar). Es entwickelte sich aus dem Begriff Eskapade, welches Anfang des 18. Jahrhunderts zunächst als Terminus der Reitkunst mit der Bedeutung »falscher Sprung eines Dressurpferdes, Sprung zur Seite«, verwendet wurde. Seit Mitte des 19. Jahrhunderts wird es bildungssprachlich in der Bedeutung »Seitensprung« oder »(unüberlegtes) Abenteuer« verwendet. Eskapismus war zuerst ein Terminus der Psychologie, später wurde dieser auch in anderer Bedeutung gebraucht: »Hang zur Flucht aus der Wirklichkeit und den realen Anforderungen des Lebens in eine imaginäre Scheinwirklichkeit; neurotische Abwehrhaltung gegenüber unerfreulichen Aspekten und Anforderungen der Realität; Zerstreuungs- und Vergnügungssucht.«
vgl. Eskapade: Deutsches Fremdwörterbuch, S. 242.

Stiller sitzt im Gefängnis und erinnert sich an seine Zeit in Mexiko. Als er mit dem Auto an einer Oase mitten in der Wüste stehen bleibt, trifft er auf Menschen und fragt sich, was sie hier machen. »Man fragt sich schlechthin, was der Mensch auf dieser Erde eigentlich macht, und ist froh, sich um einen heiІen Motor kümmern zu müssen.«
Frisch, Max: Stiller, S. 27.

Später, in Mexiko-Stadt, betrachtet er das Treiben auf den schwimmenden Gärten an einem Sonntag. Die Menschen trinken, essen, spielen Musik und lachen mit ihren Familien oder Liebhabern. Sie lassen es sich gut gehen. Seine Erkenntnis lautet: »Das ist es, was die Menschen machen auf Erden!«
Frisch, Max: Stiller, S. 27.

Das Leben darf nicht nur Mittel zum Zweck sein, sonst ist es nicht lebenswert. Das neoliberale Individuum vergisst das schnell. Auf die Frage »Was machst du gerade?« kann man nicht antworten »Nichts«. Man muss leistungsfähig, stark und gebildet sein, um im globalen Wettbewerb mitzumischen. Das prägt zwangsläufig auch die Privatperson. Arbeitszeit verschwimmt mit Freizeit. Der flexible Arbeitsmarkt setzt Erreichbarkeit Tag und Nacht voraus und bietet einem dafür in der Regel nur eine befristete Stelle für niedrigen Lohn. Nicht nur beim Vorstellungsgespräch muss man sich verkaufen, sondern auch auf dem privaten Facebook-Profil. Der Individualismus lässt einen die Fehler zuerst bei sich suchen, nicht bei der Gesellschaft. Könnte mehr Sport, eine radikale Diät oder mehr Disziplin die Lösung für ein besseres Leben sein?

Ein Mensch ist kein Roboter und kann nicht 24/7 produktiv sein. Ein Ausgleich muss her. Im Zuge meiner Beobachtungen bin ich vor allem auf Menschen gestoßen, die diese kompensatorische Leistung im Exzess suchen, als eine Art zeitlich begrenzten Eskapismus.

Ob die genannten gesellschaftlichen Gründe der Antrieb für das Verhalten sind, lässt sich nur vermuten. Auf jeden Fall besteht ein großer Bedarf, dem Alltag so zu entfliehen. Man kann die Themen Eskapismus und Ekstase philosophisch, soziologisch und anthropologisch sehr tiefgehend beleuchten. Mein Verständnis der Begriffe beruht auf den Beobachtungen der Protagonisten in meiner fotografischen und filmischen Auseinandersetzung.

Ferien im Elfenbeinturm

In dem Projekt »Ferien im Elfenbeinturm« beschäftige ich mich mit dem Einfluss, den der digitale Wandel auf meine Generation und mein soziales Umfeld hat.

Durch Schnappschüsse hielt ich meine eigenen Freunde in Momenten der Sorglosigkeit und des Exzesses – davor und danach – fest.

Obwohl uns vorgeworfen wird, dass unsere Körperlichkeit mit dem Einfluss der Digitalisierung zunehmend verschwindet und immer mehr ökonomisiert wird, existieren die Sehnsüchte nach Zuneigung und Anerkennung, Freundschaft und Liebe nach wie vor.

Was auffällt ist die Gewohnheit an die Dokumentation des eigenen Alltags. Da das Schießen digitaler Bilder meist den Zweck verfolgt diese der Öffentlichkeit zu präsentieren, oder sie als Kommunikationsmedium zu verwenden, ist eine Veränderung des Verhaltens vor der Kamera zu beobachten. Der Blickwinkel verschiebt sich: Es geht primär darum, wie man Erlebtes am besten in Szene setzt. Der Alltag ist zur Bühne geworden.

Auf dieser Bühne ist die Beziehung vom Fotograf zu der fotografierten Person umso wichtiger. Nur so ist es dem/der Fotografierenden möglich, sich von der Bilderflut der Selfies abzugrenzen. Dieses Spiel mit Realität und Inszenierung ist ebenso Teil meiner Arbeit, wie dieses mit der Referentialität, die unsere Generation beschreibt. Neue Mode und Musiktrends entstehen aus Teilen von schon dagewesenen Strömungen. Auch dieses Phänomen ist auf die Flut an Informationen und Quellen durch das Internet zurückzuführen.

Die Grenzen zwischen Jugendkultur vor und nach dem digitalen Wandel verschwimmen auf analoger Schwarzweißfotografie.

Lisa Heldmann
Ferien im Elfenbeinturm
Abschlussarbeit

Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof. Anja Vormann und
Prof.  Mareike Foecking

Weiterführende Links
www.lisaheldmann.com