Welt mit Bild und Ton

»Visuals« als Erweiterung einer musikalischen Performance

Das Stück E2-E4 von Manuel Göttsching wurde 1981 auf analogen Synthesizern komponiert und gilt als Wegbereiter für die Stilrichtung Techno wie wir sie heute kennen. E2-E4 ist knapp 60 Minuten lang, besteht aus zwei Akkorden und einem gleichbleibenden Rhythmus. Sowohl Dynamik als auch Komplexität variieren stark. Die zweite Hälfte des Stückes wird von einer Gitarrenimprovisation Göttschings dominiert und bleibt bis zum Ende, bei dem das Stück langsam ausgefadet wird, bestehen.

Für mich stand zu allererst die Frage nach der Berechtigung einer solchen Erweiterung der Soundebene durch eine Visualisierung im Vordergrund. Ist solch ein Stück nicht schon ein in sich geschlossenes Kunstwerk? Was kann ich als Gestalter diesem Kunstwerk noch hinzufügen und wird dadurch nicht das Stück als solches abgewertet? Warum reicht es nicht aus die Musik nur zu hören?

Göttsching komponierte E2-E4 1981 ohne die Intention einer zusätzlichen visuellen Umsetzung. Zu dieser Zeit gab es bereits viele Versuche Videotechnik mit anderen künstlerischen Ausdrucksformen zu verbinden und so eine Gesamtkomposition anzustreben, die nicht durch eine einzelne Ausdrucksform zu leisten wäre. Lis Rhodes, eine Künstlerin dieser sogenannten »Expanded Cinema« Bewegung, arbeitete beispielsweise in ihrer Installation »Light Music« von 1975 mit zwei Projektoren, die sich entgegen der normalen, frontalen Ausrichtung, gegenseitig anstrahlten. Es werden dunkle, abstrakte Formen projiziert, die sich in ihrer Größe und dem Abstand untereinander unterscheiden. Diese von Liz Rhodes gezeichnete Formen, werden als Audiospur von einem Tonbandgerät gelesen und geben das gesehene Bild als Tonfrequenz wieder. Eine weitere Komponente, die die Installation formt und vollendet, ist der Betrachter. Durch seine Bewegung im Raum, wirft er Schatten auf die Wände und verändert so das Sichtbare. Diese Installation ist von vorneherein als multimediale Installation gedacht, in der mehrere Ausdrucksformen verwoben werden und so eine neue Verbindung eingehen. Bei dem Stück E2E4 von Manuel Göttsching ist so eine Verbindung nicht im eigentlichen Werk verankert. Unter welcher Voraussetzung ist es also möglich ein Werk im Nachhinein zu erweitern und etwas Neues entstehen zu lassen?

Entstehung von Visuals

Die Grundvorraussetzung für das Entstehen von Visuals, war die stetige Weiterentwicklung von Video-und Projektionstechniken seit den fünfziger Jahren, die es bald möglich machte, jegliches Videomaterial zu produzieren, zu speichern, zu reproduzieren und zu projizieren. Deweiteren könnte der Verlust an Bühnenpräsenzen dazu beigetragen haben, dass sich »Visuals« schneller etablierten. Durch das Aufkommen der elektronischen Musik, wurde die klassische Band mit mehreren Instrumentalisten teilweise von Elektronikkünstlern ersetzt, die als Produktionstool für ihre Musik oft nur einen Laptop benötigten.
Eine klassische Bühnenshow, bei der die Band als solche durch ihre Unterschiedlichkeit schon viel Aufmerksamkeit auf sich zieht, gab es bei Elektronik-Künstlern nicht. Dieses Fehlen zusätzlicher Reize auf der Bühne, konnten Visuals auffüllen. Durch sie war es möglich, dem alleinunterhaltenden Elektronikkünstler mehr Präsenz zu verleihen und ihn mit einer Aura der »digitalen Möglichkeiten« zu umhüllen. Auch die Beschaffenheit von elektronischer Musik, wie zum Beispiel ein gleichbleibender Rhythmus oder repetitiver Elemente, sind ideale Vorraussetzungen für computergenerierte Visuals.
Seit dem Aufkommen dieser Möglichkeiten, gibt es eine stetig wachsende Szene von »Visual Jockeys« (VJs) mit unterschiedlichen Schwerpunkten und Ansätzen. Es gibt VJs, die rein mit computergenerierten Grafiken arbeiten, die durch Impulse der Musik direkt beeinflusst werden. VJs, die »Found Footage« Material verwenden, dieses assoziativ oder einer Narration unterordnend, einsetzen. Visuals die durch analoge Techniken entstehen und von der Dynamik der Musik beeinflusst werden. Andere arbeiten mit weiterführenden Technologien wie dem »Projection Mapping« um die Grenzen der zweidimensionalen Leinwand zu sprengen und herauszufordern. Bei allen diesen unterschiedlichen Ausrichtungen und Herangehensweisen von Vjs bleibt die Frage bestehen, was Visuals als solches eigentlich für eine Eigenständigkeit besitzen. Können sie nur durch die dazugehörige Musik existieren, oder haben sie einen eigenen künstlerischen Wert auch abseits eines Clubkontextes?

Annäherung und erste Ideen

Der Ideenentwicklung zu Manuel Göttschings Stück E2-E4 gingen viele dieser Überlegungen voran und zeigten mir, wie wichtig eine Auseinandersetzung mit dem Thema Soundvisualisierung war. Wie ist es möglich, eine Visualisierung zu generieren die das Stück weder verdrängt, noch »nur« nettes Beiwerk ist?
Zusammen mit einer kleinen Studentengruppe, entwickelten wir Ansätze, bei denen wir versuchten den Charakter des Stückes aufzugreifen. Die Dynamik, Rhythmik oder Dichte beeinflusste die Art der Kameraführung, die Bewegung oder die Anzahl der Objekte. Unsere Experimente gingen dabei in alle Richtungen: Selbstgefilmte Videoaufnahmen von Linien oder geometrischen Formen in der Stadt, computergenerierte Objekte oder dem Bearbeiten von Found Footage Material, entsprechend der Rhythmik des Stückes. Nach vielen weiteren Treffen und Diskussionen kristallisierte sich für uns heraus, dass eine rein rhythmische Bearbeitung für die Dauer von 60 Minuten eher störend als unterstützend war. Wir kamen auch zu dem Ergebnis, dass auf diesen langen Zeitraum des Stückes gesehen, ein Konzept der »freien Assoziation« am sinnvollsten wäre. Das Stück, das einen auch durch seine Dauer und seine Wiederholungen in einen »schwebenden« Zustand versetzt, bietet sich ideal dazu an, mit diesem Zustand, auch auf der visuellen Ebene, zu spielen. Ausgehend von einem Gefühl des »Hineingezogen-Werdens« entwickelten wir das Konzept, das sich auf Found Footage Material gründet. Dieses gefundene Material sollte die Bühne für unsere neue Welt werden, die wir auf der Projektionsfläche erschaffen wollten. Wir sammelten Filmaufnahmen aus den unterschiedlichsten Bereichen: Bilder von Überwachungskameras, Mikroskop-Aufnahmen aus dem Labor, Youtube-Clips alter Fernsehshows, Videos aus dem Internet Archive oder MRTAufnahmen.

Umsetzung

Dieses Material war Grundlage für die weitere Bearbeitung und stellten von nun an unseren Kosmos dar. Ein Kosmos, der auch gleichzeitig der Kosmos für die Hörer des Stückes E2-E4 werden und sich mit dem Stück verbinden sollte. Wir hatten das Bedürfnis diese Bilder der Welt, die einen täglich umgeben und die letztendlich die eigene Wahrnehmung beeinflussen und formen, als einen ewig währenden Sog darzustellen. Dieser Sog des Stückes, sollte auch die Bilder erfassen und diese bis hin zum Ort der Verarbeitung, dem Gehirn ziehen. Dafür generierten wir eine Kameraebene in der Compositing Software und ordneten die einzelnen Bilderwelten hintereinander an. Im Laufe des Stückes sollten nun diese einzelnen Ebenen linear durchlaufen werden. Die Kamera ist das Auge des Betrachters, das im Laufe des Stückes versucht, an das Wesen dieser gezeigten digitalen Bilder zu gelangen. Er kommt ihnen immer näher, bis er sie auf ihrer Pixelebene durchdringt. Zum Vorschein kommt das nächste digitale Bild, das wiederum eine eigene Welt in sich trägt. Erneut nähert sich die Kamera und dadurch auch der Betrachter diesem Bild, bis er nur noch einzelne Pixel wahrnehmen kann, die den ursprünglichen Charakter des Bildes vergessen lassen. Er wird weiter hineingezogen und schon schimmert die nächste Welt durch die noch verbliebenen Pixel des vorangegangen Bildes. Bilder dieser Welten tauchen auf und verschwinden wieder, sodass sich ein Gefühl einstellt, welches zwischen Distanz und scheinbarer Nähe balanciert. So entsteht ein fortschreitender Prozess der sich durch den stetigen Zoom in das Bild und der anschließenden »Durchbrechung« immer zwischen Konkretem und Abstraktem abspielt. Der Betrachter wird so auf eine Reise der näheren Betrachtung mitgenommen, die nur durch die kleinste digitale Einheit, dem Pixel, limitiert wird. Es ist ein Versuch der Wirklichkeit näher zu kommen um dabei doch nur ein oder mehrere Pixel am Ende der Reise vorzufinden. Die Kamera wird dabei von der Musik geführt und reagiert auf Impulse, abhängig von Dynamik und Komplexität, für einen »Weltenwechsel«.

In der zweiten Hälfte von E2-E4, setzt Manuel Göttsching mit einem improvisierten Gitarrensolo ein, das sich bis zum Ende über alle weiteren Elemente legt. Für diesen zweiten Teil, dessen Wesen sich durch den Einsatz der Gitarre deutlich verändert, versuchten wir auch eine bildlichen Veränderung zu finden, die dem neu entstandenen Gefühl entsprechen könnte. Wir hatten dabei die Assoziation eines sich öffnenden Raumes. So als ob das Stück durch die Gitarre eine ganz neue Perspektive bekommen würde. Genau diese Öffnung wollten wir auf unsere Bilderwelten übertragen. Dazu nutzten wir den zuvor gebauten digitalen Raum, indem sich die Ebene, sowie die Kamera befanden. Wir verlagerten nun die Perspektive der Kamera, von einer frontalen, bei dem die Ebenen nur als Vollbilder sichtbar war, hin zu einer seitlichen Perspektive. Der Kosmos der vorangegangenen 30 Minuten wird nun regelrecht auf den Kopf gestellt und alle vorherigen Betrachtungsweisen verändern sich so schlagartig. Durch diese Öffnung, stehen die einzelnen Bildebenen in einem ganz anderen Verhältnis zueinander. Sie sind jetzt erst als einzelne Ebenen erkennbar, die aufgereiht hintereinander positioniert wurden und in einem Raum schweben. Die im ersten Teil vorgegebene Zweidimensionalität und Grundordnung wird durchbrochen und der Betrachter findet sich in einer neuen Raum-Zeit-Ordnung wieder. Die Bilderkette offenbart sich dem Betrachter wie ein ganzes Leben, das man als Aussenstehender betrachtet. Im weiteren Verlauf des Stückes bestimmt die autonome Kamera den Bildausschnitt und präsentiert dem Betrachter verschiedene Ausschnitte dieses neuen Kosmos‘. Mal sind alle Ebenen gleichzeitig sichtbar und die Kamera bewegt sich auf einem Kreis um sie herum. Dann sind wir wieder ganz nah an einer bereits bekannten Bilderwelt und der Raum drumherum scheint für Minuten wieder vergessen, bis ein energischer Rausschwenk den Betrachter wieder zurück holt. Auch gibt es Positionen der Kamera, welche die Ebenen nur als abstrakte Linien im Raum erscheinen lässt, die keinerlei Bezug mehr zu den Bildern haben aus denen sie bestehen. Zum Schluss sind wir wieder ganz nah dran an den Pixeln. Alle Bilderwelten überlagern sich. Elemente der Realität verflechten sich mit Pixelstrukturen der vergangenen Momente und werden zu einer Einheit. Die Kamera bewegt sich nun in entgegengesetzter Richtung und holt den Betrachter aus seiner Vertiefung. Wir entfernen uns bis man nur noch ein Flackern wahrnehmen kann, das langsam, mit dem ausfaden der Musik, immer kleiner wird. Bis es irgendwann in den Tiefen des Universums verschwindet.

Denkprozesse

Was ist es nun, was da entstanden ist? Und was hat das mit dem ursprünglichen Werk von Manuel Göttsching zu tun? Durch unseren Ansatz der Visualisierung haben wir den Versuch unternommen, ein musikalisches Werk für uns neu zu interpretieren um daraus Ideen für eine Transformation in eine Bilderwelt zu entwickeln. Dieser Prozess ist immer auch ein Aufspüren von Gemeinsamkeiten, zwischen Tönen und Bildern, zwischen Künstler und Publikum, zwischen der einen Welt und der anderen. Unsere Visuals funktionieren dann als Erweiterung, wenn das »Dazwischen« angesprochen wird. Wenn im Kopf des Betrachters Gehörtes und Gesehenes plötzlich nicht mehr getrennt voneinander wahrgenommen wird, sondern sich ein Gefühl einstellt, das zwischen Video und Audio liegt und Raum für das lässt, was daraus entstehen kann.

Linda Weidmann
Welt mit Bild und Ton
Semesterarbeit

Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Prof. Anja Vormann und
Christian Banasik

Weiterführende Links
visualmusicarchive.org
soundframe.at