Merlin Baum

Über Schnittstellen, Prozesse und das Experiment im Design

Merlin Baum, Alumni der Hochschule Düsseldorf im Bereich Kommunikationsdesign und wissenschaftlicher Mitarbeiter im Bereich der 3D Technologien, stellt uns in der Vortragsreihe des Master Studios für experimentelles Design seine Projekte vor. Wir erfahren mehr über den Weg, den er als Gestalter gegangen ist, über die eigene Arbeitsweise, die dadurch entwickelt wurde und über Transformationsprozesse eines Gestalters. Er berichtet über visuelle Recherchen, über das Machen und das Denken, den Prozess als Chance sowie die Frage nach Forschung und Wissenschaft im Design. All dies setzt er in Bezug zu seinem Schwerpunkt – der Schnittstelle, dem Interface.

Schnell wird während des Vortrags klar, dass Merlin Baum keiner linearen Präsentation folgt. Das würde seinen eigenen Arbeitsstrukturen widersprechen. Er selbst sagt: »Ich liebe die Ordnung, aber ich kann sie selbst nicht gut erschaffen.« Das Chaos ist Bestandteil seiner Arbeitsprozesse und Strukturen. Die Neugier an Interfacedesign entwickelte sich im Laufe seines Studiums. Ein Schlüsselprojekt ist die Arbeit »Fernsehapparat«, die in Zusammenarbeit mit Thomas Spallek entstand. Schnittstellen, die die Kommunikation zwischen zwei Objekten ermöglichen, prägen seine Arbeit bis heute. Er selbst beschreibt dabei die Bedeutung und Definition eines Interfaces wie folgt:

»Es gibt kaum jemanden, der ordentlich über den Begriff »Interface« sprechen kann, weil der Begriff total verzerrt ist. Wenn man Interfacedesign bei Google eingibt, kommen irgendwelche komischen Layouts von irgendwelchen Dingen – das Thema Interfacedesign ist ein viel größeres Thema.«
»Im digitalen Zeitalter hat das Interface eine neue und sehr bedeutende Rolle bekommen. Allein die Frage, was genau ein Interface darstellt, ist für mich von höchster Bedeutung. Jedes Ding, das ich in die Hände bekomme, ist für mich erst mal ein Interface. Erst durch Falsifikation, also durch das Ausschließen, dass ein Ding eine Schnittstelle darstellt, wird etwas zum Nicht-Interface.«

Wenn Merlin Baum von seinen Projekten erzählt, beschreibt er seine verschiedene Schritte zwischen Methode, Prozess, Erkenntnis, Experiment, Intuition und Prototyp. Der Beginn liegt im sogenannten »Machen«, dem praktischen Arbeiten, durch das Erfahrungswerte und Prototypen entstehen. Die Methodenentwicklung und das Optimieren von Prozessen ergeben sich später durch Iteration (Wiederholungen).

»Im Grunde iteriere ich die ganze Zeit. Weil ich das nicht anders kann. Ich kann kein Konzept erstellen und das dann abarbeiten. Das kann ich einfach nicht, da bin ich nicht in der Lage zu. Und deswegen muss ich diese Wege gehen.«

In all seinen Prozessen geht es Merlin Baum um die Interaktion und die Experimentierfreudigkeit. Das ist schon an früheren Arbeiten, wie der »Lichtorgel«, dem »Fernsehapparat« oder dem »Papiersynthesizer« zu erkennen. Der »Papiersynthesizer« zeigt, wie sich siebgedruckte Schaltkreise, mithilfe von elektronisch leitender Farbe, zu einem voll funktionsfähigen Synthesizer entwickeln können. Dem Nutzer wird ermöglicht, mit dem Objekt zu agieren und elektronische Töne durch unterschiedliche Strichstärken zu generieren. Für Merlin Baum ist der Moment wichtig, in dem menschliches Handeln etwas an einer Schnittstelle auslöst. Durch das Forschen am Material entstehen für ihn immer wieder neue Lösungen.

Das Projekt »Kinetisches Lichtinterface« schafft durch eine Lichtinstallation eine neue räumliche Situation. Die Besucher werden aufgefordert, alleine oder in einer Gruppe aktiv zu werden und mit der Installation in Aktion zu treten. Die Besucher können sich in der Installation frei bewegen, unter den Lampenschirmen tanzen und Schwingungen sowie Luftströme durch Wind erzeugen. Auch diese Arbeit lebt von der Interaktion des Nutzers.

»Letztendlich war ich ja auch nur der Erschaffer dieser Installation und ich konnte zwar meine Tests damit machen aber richtig was gebracht hat es erst, als andere Leute sich damit beschäftigt haben – darum geht es mir ja auch (…) das ich erfahren kann, wie die Leute damit interagieren. Das ist im Endeffekt das Experiment und das was mich daran am meisten interessiert.«

Das Kunstmuseum Bochum stellte die Lichtinstallation auf einer Fläche von 100 m2 aus, welche aus 324 einzelnen Lampenelementen in 3D gedruckten Lampenfassungen bestand. Um alle Arbeitsschritte selbst steuern zu können, war es für Merlin Baum wichtig, die volle Verantwortung für das Projekt zu tragen. Für das Projekt war er nicht nur Gestalter, sondern durchlief verschiedene Positionen wie die des Technikers, Assistenten oder Werkzeugmechanikers. Zusammengefasst wurde das Projekt in einem Buch, das die Prozesse vom E-Mail Verkehr, über Zeichnungen bis zum fertigen Produkt zeigt. Das Buch dokumentiert, wie aus einem Wackelkontakt und dem Experiment, eine Lichtinstallation entstehen kann. Ebenso zeigt es das innovative Potential der Wechselwirkung  von analogem und digitalem Arbeiten in den Projekten von Merlin Baum.

»Auch wenn nicht alles mit einem Bleistift beginnt, so könnte doch jeder kreative Prozess mit einem Bleistift beginnen.«

Grundlage für das interdisziplinäre Arbeiten ist für Merlin Baum eine freie, künstlerische und kreative Herangehensweise. Neue Schnittstellen können so erforscht werden und unkonventionellen Lösungen führen.

Auszug Interview

Oft gibt es die Überlegung von mir: Muss ich vielleicht auch mal was Politisches machen? Aber ich bin froh, dass ich diesen direkten Weg bisher nie gewählt habe, weil ich mich damit wahrscheinlich nur verhaspeln würde. Dieses direktpolitische liegt mir nicht. Ich habe meine private und ganz klare Meinung, politisch gesehen, aber ich die muss ich nicht durch meine Arbeit direkt transportieren. Trotzdem ist meine Arbeit dennoch politisch dadurch, dass ich oft versuche der Technik einen Spiegel vorzuhalten oder demaskiere. Im Grunde ist das hochpolitisch. Auch in meinen Lehrveranstaltungen ist das immer ein ganz großes Thema. Die Frage, die ich mir persönlich stelle und anschließend auf die Studenten übertrage: Wollt ihr das eigentlich so? Wollt ihr irgendwann einen Chip implantiert haben? Das versuche ich immer wieder in Diskussion zu halten. Das Reflektieren, was machen wir da eigentlich gerade? (…) Das ist meine große Vision, dass ich da immer dran bleibe, dass ich eigentlich immer darüber erzählen will – ist das eigentlich echt erstrebenswert? Wollen wir das? Wollen wir die komplette Verschmelzung mit der Technik? Oder vielleicht so wie Ilan Mask das sieht, vielleicht ist es auch die einzige Möglichkeit, überhaupt noch als Mensch zu existieren, indem man sich mit der Technik verschmilzt. Die KI wird uns sowieso irgendwann überlegen sein, vielleicht müssen wir uns dann jetzt verschmelzen. Ich weiß es ja selber nicht, aber darüber will ich erzählen. (…) Auch wenn manche Sachen vielleicht sehr humoristisch von mir mal gedacht waren, ich persönlich nehme mich und meine Arbeit immer voll und zu 100% ernst. Sonst würde ich das alles sowieso nicht machen. Das sind immer ernste Fragen, die ich mir stelle. (…) Das ist wirklich wichtig, man sollte sich selber ernst nehmen.

Kathrin Borhof
Annika Opfer
Tabea Schmidt
Vortragsreihe des Masterstudios »Experimentelles Design«
Semesterarbeit

Hochschule Düsseldorf
Fachbereich Design
betreut von Anja Vormann